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"Die CDU ist offensichtlich gespalten. Die Konservativen in der Union sind mehr und mehr heimatlos"

Interview | Paulo Micael Jesus Pinto


TPP

PT Post Der vormalige Konsul in Düsseldorf, José Manuel Carneiro Mendes, hat sich mehr zivilgesellschaftliches und politisches Engagement der portugiesischen Community in der deutschen Gesellschaft gewünscht und Sie als positives Beispiel genannt. Was motiviert Sie und was denken Sie darüber?


Paulo Jesus Pinto Ich fühle mich geehrt, wenn Sr. Carneiro mich als positives Beispiel nennt. Politisches Engagement sollte nie vom Faktor der Migration (egal welcher Nation) abhängig sein. Ich bin in Deutschland geboren und engagiere mich daher politisch für meine Heimat. Gleichzeitig ist Deutschland das Land, in dem man sich - egal wo die Wurzeln liegen - frei und in Frieden entfalten kann. Das ist eine herausragende Errungenschaft der Zivilgesellschaft, gerne auch mit Unterstützung von Portugiesisch-stämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.


PTP Sie haben Herrn Merz für den Vorsitz der CDU favorisiert. Was hat Sie an seinem Programm überzeugt?


PJP Friedrich Merz steht für einen Kurswechsel und einem völlig anderen Weg, als den von Frau Merkel. Die Basis stand hierbei sehr geschlossen hinter Merz, es haben jedoch nicht die Mitglieder beim Parteitag entscheiden dürfen in Form einer Urabstimmung (siehe SPD) sondern lediglich Delegierte. Ich respektiere das Votum, gratuliere Herrn Laschet; es spiegelt allerdings nicht das Bild der Mitglieder unserer Partei wieder. Der knappe Ausgang der Wahl hat zudem gezeigt, dass die Partei offensichtlich gespalten ist und die Konservativen in der Union mehr und mehr heimatlos sind.


PTP Wie bewerten Sie den aktuellen politischen Kurs der CDU?

PJP Es wird übervorsichtig zu sehr auf Sicht gefahren, ohne dabei eine klare Strategie für die kommenden Monate zu erkennen. So kommen wir von Monat zu Monat zum nächsten Lockdown. Ich vermisse ein klares Konzept und evidenzbasierte Lösungen. Der vormals von 50 nun mehr auf 35 festgelegte Inzidenzwert, ist nicht wissenschaftlich - sondern ein rein politisch festgelegter Kompromiss. Zudem halte ich ihn für teils illusorisch.


PTP Wäre Herr Laschet aus Ihrer Sicht ein guter Kanzlerkandidat? Wie sollte das Profil des christdemokratischen Kanzlerkandidaten sein und welche Vision sollte er für Deutschland haben?


PJP Herr Laschet weiss wie man Wahlen gewinnt. Als Ministerpräsident und als Parteichef. Das hat er eindrucksvoll bewiesen. Ohne Herrn Laschet abwerten zu wollen, befürchten viele in der Union und so auch ich, dass es mit einem möglichen Kanzler Laschet ein ,,weiter so” im Kurs gibt, wie wir ihn unter Frau Merkel erleben. Ein christdemokratischer Kanzlerkandidat sollte hart in der Entscheidung sein und verbindend mit allen Menschen in und für Deutschland sein.


PTP Sie haben öffentlich die Corona-Politik der Bundesregierung kritisiert. Was bereitet Ihnen Sorgen darüber? Welche Alternativen würden Sie empfehlen?


PJP Ich erwarte von der Bundesregierung, dass Sie nicht nur eine Hand voll Leute, erlesene Personen aus Charité, Ethikrat und RKI zur Meinungsbildung nimmt. Es bedarf einer größeren Gruppe von Wissenschaftlern - die besten ihrer Zunft, die kontrovers und kritisch die Lage bewerten und alles dafür tun, dass ein normales Leben für die Bürgerinnen und Bürger wieder möglich und die Grundrechtseinschränkungen dort wo es machbar ist, so schnell wie es geht aufgehoben werden. Andere Länder machen es vor wie es geht. Wir werden in einer globalen Welt mit Reisefreiheit NIEMALS Covid-19 und seine Mutanten völlig auslöschen können. Wir sollten uns ehrlich machen und mit dem Virus leben lernen, während wir gleichzeitig die vulnerablen Gruppen durch Impfung schützen und somit einen schweren Krankheitsverlauf möglichst vermeiden.


PTP Sehen Sie die Meinungsfreiheit im Bezug auf Massnahmen der Coronapolitik in Gefahr? Zur Zeit gibt es ja tiefgehende gesellschaftliche und juristische Auseinandersetzungen zu diesem Thema.


PJP Seine Meinung kann und darf man in Deutschland frei äußern. Etwas anderes zu behaupten, spiegelt nicht die Wirklichkeit wieder. Was allerdings insb. in Zeiten von Corona auffällt, ist die Stigmatisierung und das Abstempeln bzw. das Verächtlichen von Meinungen, die nicht eins zu eins regierungskonform sind. Wissenschaft hat mehrere Aspekte und lebt vom Diskurs. Einer allein hat niemals die Wahrheit und ich nehme verstärkt wahr, dass eine Sachdebatte und das Zulassen einer dezidiert anderen Sichtweise immer schwieriger wird. Man unterscheidet viel zu schnell in ,,systemtreu” und ,,Querdenkern”, dabei ist das Meinungsspektrum doch wesentlich vielfältiger.


PTP Wie stehen Sie zu Thema Impfpflicht oder Privilegien für Geimpfte?


PJP Eine direkte und von staatlicher Seite veranlasste Impfpflicht wird es nicht geben. Dabei bleibe ich. Es wird aber gewiss Unternehmen geben, die Privilegien für geimpfte Menschen ermöglichen. Das erleben wir bereits jetzt mit der Fluggesellschaft Quantas, die nur geimpfte Menschen mit nach Australien fliegt, oder aber Reisegesellschaften die einen Urlaub ohne Impfnachweis nicht mehr möglich machen. Restaurants und Kinobetreiber werden - um die finanziellen Verluste nicht ins Unermessliche laufen zu lassen alles daran setzen, so viele Gäste/Kunden wie möglich zu betreuen. Und wenn in Kinosaal 1 nur ,,Geimpfte” dürfen, weil dadurch eine Auslastung zu 100% zu gewährleisten ist, wird man dies mittelfristig alleine aus betriebswirtschaftlichen Gründen tun. Ich kann dies unternehmerisch sogar nachempfinden; es ist aber erst der Auftakt einer so genannten Zweiklassengesellschaft, die ich mit Sorge betrachte.


PTP Sie haben Angst um die Wirtschaft und die Firmen aufgrund dieser Krise. Was erfahren Sie als PP Unternehmensberater über die Probleme in der Wirtschaft? Haben Sie Sorgen, dass viele der wirtschaftlichen Herausforderungen derzeit noch durch die aktuellen Staatshilfen überdeckt werden?


PJP Ich möchte kein Horrorszenario aufmachen, aber viele Unternehmerinnen und Unternehmer steht das Wasser bis zum Hals. Mir persönlich sind Inhaber bekannt, die bis heute auf die Auszahlung der November-Hilfen warten und vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Menschen, die über Jahrzehnte fleissig waren und in Deutschland ihre Steuern bezahlt haben. Diese Menschen wissen nicht, ob sie übermorgen noch etwas im Kühlschrank haben. Es wird nach Covid-19 ein hohes Maß an Unternehmer-Insolvenzen geben, die wir aktuell nur im groben erahnen können.


PTP Sie haben die Frage „Habe ich eine Zukunft in Deutschland ?“ – thematisiert. Warum sind Sie dieser Meinung? Was sollte das Deutschland der Zukunft ihrer Meinung nach aussehen?


PJP Die Frage ,,habe ich eine Zukunft in Deutschland?” bezog sich ganz allgemein auf das was nach Corona kommt. Zukunftsängste zum einen und wie sich unser Land und unsere Gesellschaft verändern werden. Werden Extreme hier das Wort führen, oder reichen wir uns gegenseitig die Hand für ein friedvolles Miteinander?


PTP Wie stehen Sie zu der Frage, dass der Begriff „Migrationshintergrund“ derzeit gesellschaftlich diskutiert wird? Einige wollen den Begriff verbannen, andere wollen daran -wie „Die Linke“ in Berlin- wollen daraus Vorteile für Stellenbesetzungen im öffentlichen Dienst knüpfen.


PJP Menschen mit Migrationshintergrund ist eine rein Tatsachenfeststellung und ist aus meiner Sicht nicht dafür geeignet, hieraus einen Menschen in seiner Würde und seinem Wirken abzuqualifizieren. Er beschreibt den Umstand, dass familiäre Wurzeln außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland liegen. Ich finde generell die Veränderung unserer Sprache in den letzten Jahren für einen Umstand, der mich so manches mal fragend den Kopf schütteln lässt. Leute, warum lasst ihr zu, dass sich die Mehrheitsgesellschaft immer mehr anbiedert und alles in einen Topf wirft? Sprachverbote sind der Anfang vom Zerfall einer pluralistischen Gesellschaft.

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